…so sagen viele Kinder, wenn sie in die 1. Klasse der Grundschule kommen. Sollten sie denn nicht schon längst gelernt haben, dass Erwachsene von Kindern grundsätzlich mit „Sie“ angesprochen werden? In diesem Beitrag betrachte ich diese schwierige Frage: Du oder Sie in Schule und Beruf?
„Du“ im Kindergarten für die Nähe
Im Kindergarten dürfen die Kleinen selbstverständlich noch Du zur Erzieherin bzw. dem Erzieher sagen – so habe ich es erlebt und finde das auch gut so, denn es schafft Nähe und Vertrauen. Beides haben die Kinder ab 3, manchmal 2 Jahren dringend nötig, wenn Mama oder Papa nicht in der Nähe sind. Allerdings nehmen viele Eltern das Duzen der Erzieher/innen auch wie selbstverständlich für sich in Anspruch – und das halte ich doch für ziemlich respektlos.
„Sie“ in der Schule für die Gesellschaft
Wenn die Kinder in die Schule kommen, haben Sie sich von den Eltern schon abgeschaut: Manche Erwachsene spreche ich mit Vornamen, manche mit Nachnamen an. Das „Sie plus Nachname“ als höfliche und respektvolle Ansprache von Erwachsenen verstehen die Kinder durchaus. In der Schule auf ein Siezen der Lehrkraft zu bestehen, halte ich auch für die Entwicklung des Kindes in der Gesellschaft für wichtig. Eine umfassende Studie ergab, dass das höfliche Siezen der Lehrkraft durch die Schüler/innen Höflichkeit und Respekt fördert und sogar den sprachlichen Ausdruck verbessert. Denn der Satzbau mit Sie ist wesentlich komplexer, gesprochen wie geschrieben. (vgl. Interview von Wolfgang Steinig/emeritierter Germanistikprofessor durch Martin Spiewak/DIE ZEIT vom 25.09.2017). Zudem gaukelt das Du den Kindern vor, Lehrkräfte wie Schüler/innen stehen auf einer hierarchischen Ebene und es gäbe die gleiche Vertrautheit wie im Familienkreis, was nicht der Fall ist. (vgl. Beitrag von Christine Kammerer). Vor allem für die jungen Schüler/innen schwer zu verstehen, wenn auf einmal Anweisungen und Bewertungen verteilt werden.
Sie könnten jetzt denken, die Engländer haben es einfach: Keine Unterscheidung zwischen „Sie“ und „Du“. Leider nein. Auch hier werden sprachliche Höflichkeitsformen verwendet, z:B. durch den Gebrauch von „Sir“ bzw. „Madam“. Zudem zeugt die Kleidung von Respekt: Die Schüler/innen tragen Schuluniform, die Lehrkräfte sind ebenso förmlicher gekleidet (vgl. Interview von Wolfgang Steinig/emeritierter Germanistikprofessor durch Martin Spiewak/DIE ZEIT vom 25.09.2017).
„Sie“ im Workshop
In meinen Workshops sprechen mich die Kinder meistens ganz von selbst mit „Sie“ an, da sie es aus der Schule zu gewohnt sind. Das ist auch mein Wunsch, auch wenn wir außerhalb der Schule sind und gemeinsam aktiv „arbeiten“. Warum? Der Workshop ist eine Plattform zum Üben und Lernen, wie Respekt und Höflichkeit ausgedrückt werden können. Dazu zählt auch die Grundregel, Erwachsene zu siezen. Im Workshop entsteht so eine respektvolle Nähe zwischen den Kindern und mir.
„Sie“ und „Du“ im Geschäftsleben
Auch im Geschäftsleben unter Erwachsenen tun wir uns meiner Meinung nach keinen Gefallen, mit allen – über alle Hierarchieebenen hinweg – per Du zu sein, weil das heute modern scheint. Per Sie diskutiert es sich respektvoller und verbale Entgleisungen sind schwieriger. Sowieso bringt ein Du von „oben“ weder Moderne noch Nähe, wenn bisher die Unternehmenskultur eine ganz andere war.
Doch Achtung: Wenn sich ein Unternehmen wie zum Beispiel ein großes Möbelhaus oder ein Bekleidungsanbieter für das Du über alle Hierarchieebenen hinweg entschieden haben, dies auch im Unternehmen gelebt wird und Teil der Unternehmenskultur ist, werden Sie zum Außenseiter, wenn Sie auf das „Sie“ bestehen.
Was sagt die moderne Etikette?
Auch die modernen Umgangsformen halten es so: Im Beruf erst einmal „Sie“. Wenn das Du im Unternehmen üblich ist, dann hat der Ranghöhere die Aufgabe, das Du dem Rangniederen anzubieten. Im Privaten, außerhalb vom Familienkreis, Siezen die Jüngeren die Älteren. Die Älteren bieten den Jüngeren das Du an. Es zählen also Rang oder Alter, nicht das Geschlecht.
Adolph Freiherr von Knigge hatte damals in seinen Kreisen noch zwischen weiteren Formen der Anrede zu unterscheiden, was hier zu weit in die Geschichte gehen würde. Nur so viel: Die Zeiten, in denen auch Eltern oder Verwandte gesiezt werden mussten, sind glücklicherweise vorbei.
Auch wenn die Grundregel lautet „Kinder siezen die Erwachsenen“ außerhalb des Familienkreises, so werden aus Kindern eben auch Erwachsene. Damit haben die älteren Erwachsenen die Pflicht, das Recht auf „Sie“ des jungen Erwachsenen zu respektieren. In den Oberstufen der Schulen wird abgefragt, doch wie sieht es zum Beispiel in der Nachbarschaft aus?
Meine Anrede im Blog
Lange habe ich auch für meine Blogbeiträge hin- und herüberlegt, erfahrene Blogger gefragt. Viele Für und Wider gehört. Am Ende habe ich mich für das „Sie“ entschieden: Schließlich würde ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch im analogen Leben nicht gleich Duzen, wenn wir uns das erste Mal begegnen.
Ketten sprengen
Den Kindern tun wir meiner Meinung nach einen Gefallen, in dem wir sie sensibilisieren für die Wirkung eines „Sie‘s“ und eines „Du‘s“. Ihnen erklären, wann welche Form der Anrede angebracht ist. Indem wir nicht starr an einer traditionellen Regel festhalten, sondern überlegen, was der Situation gerecht wird. Und beim Du den Respekt nicht verlieren.
Was denken Sie dazu? Ich freue mich, wenn Sie mir Ihre Meinung im Kommentarfeld schreiben.
Dieser Beitrag ist Teil einer Serie zum Thema „Ketten sprengen“. Weitere interessante, lesenswerte Beiträge finden Sie hier:
Astrid Gövert: Sprenge die Ketten! Vertrau deiner Stimme
Daniela Heggmaier: Ketten sprengen: Selbst-PR analog, digital und hybrid
Doreen Trittel: Ketten – so und so…
Gaby Regler: Ketten sprengen: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht länger einfach hinnehmen
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